Schulterherein auf dem Zirkel

Definition:

Die Richtlinien für Reiten und Fahren (Band 2) beschreiben das Schulterherein so, dass die Vorhand des Pferdes so weit in die Bahn geführt wird, dass die Schulter des Pferdes vor die innere Hüfte des Pferdes gerichtet ist. Das Pferd ist gleichmässig um den inneren Schenkel gebogen. Auf der gebogenen Linie soll die Linie präzise eingehalten werden und die Hinterhand genau auf der gewünschten Linie fussen. Der äussere Schenkel sorgt dafür, dass die Hinterhand nicht nach aussen ausweicht. So soll das Schulterherein unter anderem die Tragkraft fördern und die Schulterfreiheit verbessern.

Diese Definition entspricht meiner Auffassung sehr gut. Entscheidend ist hier der Punkt, dass die Schulter nach innen geführt werden und die Hinterhand die Linie beibehalten soll. Auch Philippe Karl betont in seinem Buch "Irrwege der modernen Dressur", dass das Pferd sein Gewicht in Richtung der inneren Schulter verlagern soll.

Schulterherein vs. Übertreten lassen

Was jedoch in der Praxis häufig gesehen wird, wenn von einem Schulterherein auf dem Zirkel gesprochen wird, ist ein eigentliches Übertreten lassen. Bewusst wird hier die Hinterhand des Pferdes mit dem inneren Schenkel dazu aufgefordert, nach aussen zu weichen, während die Schulter auf der Zirkellinie bleibt. Dies  kann durchaus auch bewusst und positiv zur Gymnastizierung eingesetzt werden, entspricht aber in keiner Weise der Idee eines Schulterhereins. Stattdessen tendieren hierbei die Pferde oft stark dazu, mit den Schultern nach aussen zu fallen, was bei einem Schulterherein keinesfalls erwünscht ist. Auch möchte ich es kein Schenkelweichen nennen, da das Pferd beim Schenkelweichen per Definition nicht gebogen ist.

Wer jedoch tatsächlich ein Schulterherein reiten möchte, dessen Fokus sollte darauf liegen, die Schultern tatsächlich nach innen zu führen, während die Hinterbeine aussen verwahrt werden. Hierdurch werden die Schulter in Balance gebracht und erhalten freiere Bewegungsmöglichkeiten. Da das Pferd hierbei vor allem durch die äusseren Hilfen gut eingerahmt werden muss, ist diese Übung besonders in der freien Bahn anspruchsvoll zu reiten, dadurch aber sowohl zum Zwecke der Gymnastizierung als auch der Überprüfung der Hilfengebung sehr wertvoll.

Mit der obigen Grafik soll der Unterschied zwischen Schulterherein (links) und Übertreten lassen (rechts) nochmals verdeutlicht werden. Die Positionen des Pferdekörpers sehen zwar zunächst ähnlich aus, unterscheiden sich aber deutlich in der Bewegungsausführung und der Balance des Pferdes.

Eigentlich einleuchtend, oder?

Falls auch du das Schulterherein auf dem Zirkel bisher immer falsch geritten bist, dann bin ich froh, dass ich dir vielleicht auch ein kleines "Aha-Erlebnis" bescheren konnte. Und mach dir keine Sorgen: Auch Übertreten lassen kann eine wertvolle Übung sein. Aber vielleicht kannst du jetzt mal ein "richtiges" Schulterherein ausprobieren! Doch sei gewarnt - es ist gar nicht so einfach ;)