Fast jeder um das Pferdewohl bedachte Reiter fragt sich wohl im Verlaufe der Zeit einmal, ob er seinem Pferd mit seiner Reiterei schadet. Kann man denn Pferde überhaupt "gesund" reiten - und wie?
Einige Gedanken dazu...
Aus osteopathischer Sicht
Einer der drei Grundsätze der Osteopathie lautet, dass Kompression der grösste Schadensmechanismus ist. Und Kompression lässt sich nicht trainieren! Neben der normalen, physiologischen Kompression, ist hier natürlich vor allem auch die unphysiologische, "unnatürliche" Kompression zu nennen - wie wir sie beim Reiten haben. Damit sollte man nicht so leichtfertig umgehen, wenn man sein Pferd langfristig gesund halten möchte.
Doch wie so oft, macht auch hier die Menge das Gift. Es lohnt sich sicher, wenn man versucht, die Dauer der Kompression zu verringern, indem man beispielsweise nicht täglich reitet, sondern jeden zweiten Tag vom Boden aus arbeitet. Am Besten komplett ohne Kompression, also auch ohne Longiergurt und so weiter. So gibt man dem Pferdekörper die Möglichkeit, sich von der Belastung zu erholen und zu regenerieren. Oder indem man beim aufwärmen und abkühlen (und allenfalls auch in den Pausen) neben dem Pferd geht - was ohnehin besser ist, denn damit ist auch gleich der Reiter mit aufgewärmt :)
Genügend Pausen
Ein oft unterschätztes Element im Pferdetraining sind mit Sicherheit die Pausen. Sowohl physisch, als auch psychisch. Das Pferd kann erlerntes verarbeiten und konzentrierter mitarbeiten. Aber es
profitiert auch körperlich sehr davon:
Zum einen wächst der Muskel eigentlich erst in den Pausen. Beim Sport wird der Muskel aktiviert und leert seine Energiespeicher. Diese kann er erst in den Pausen wieder füllen. Es sind aber nicht
nur die Pausen während des Trainings gemeint, sondern auch diejenigen zwischen den einzelnen Trainings. Denn während dem Training kommt es auch zu kleinen Schäden an den Muskeln, die der Körper
erst wieder regenerieren muss. Und das kann nach einem intensiven Training mehrere Tage dauern!
Konkret heisst das: Werden Muskeln überreizt, brauchen sie 48h Regenerationszeit. Bekommen sie diese nicht, geschieht eine stetige Übersäuerung und der Muskel atrophiert (wird schwächer) trotz intensivem Training. Andere Strukturen wie Sehnen, Bänder und Faszien brauchen nach einer Überreizung gar 72 Stunden zur Regeneration. Während dieser Zeit muss das Pferd aber nicht unbedingt stehen gelassen werden. Stattdessen kann man während dieser Zeit einfach ein Training durchführen, das andere Muskeln/Strukturen als die bereits überlasteten fordert.
Wie im Bodybuilding gilt auch bei den Pferden: Wer zu viel möchte, erreicht häufig weniger.
Doch genügend Pausen während des Trainings sind noch aus einem anderen Grund wichtig: Wenn die Muskulatur des Pferdes ermüdet - und das geschieht schneller als man meint! - kompensiert es automatisch mit anderen Strukturen/Muskeln. Und das ist höchst kontraproduktiv!
Diese Kompensation kann man aber nicht nur mit Pausen verhindern, sondern auch durch den Wechsel der beanspruchten Muskelgruppen. Bei der Halsmuskulatur zum Beispiel durch einen häufigen Wechsel der Halshaltungsform.
Wie häufig und wie lange Pausen das Pferd letztendlich braucht, hängt auch vom Trainingszustand ab. Aber es gilt: Lieber zu viel als zu wenig.
Sorgfältiger Trainingsaufbau
Langfristig gesund für ein Pferd kann das Training auch nur dann sein, wenn entsprechend dem Trainingszustand des Pferdes trainiert wird. Ein langsamer Trainingsaufbau vom Boden aus bereitet das Pferd optimal aufs Reiten vor. Zunächst ein Training an der Longe in Dehnungshaltung, das schrittweise verlängert wird. Mit der Zeit können auch immer mehr Reprisen in zunehmender Aufrichtung eingebaut werden. Anschliessend dasselbe im Sattel. Begonnen wird mit Dehnungshaltung, die Trainingsintensität wird langsam gesteigert. Aufrichtung kommt erst langsam hinzu. Auch die Regenerationsphasen nach einer Reiteinheit sollten am Anfang noch länger sein und können mit der Zeit kürzer werden.
Physiologische Bewegungsmuster
Der Körper macht von sich aus keine Bewegungen, die ihm schaden. Daher macht es Sinn, das Training am Körper zu orientieren und diesen nicht zu sehr künstlich zu beeinflussen. Konkret heisst das, dass man das Pferd nicht in eine Form ziehen oder drücken soll. Wer sein Pferd in Selbsthaltung gehen lässt bietet ihm die Möglichkeit, sich in gesunden, physiologischen Bewegungsmustern zu bewegen. Hilfszügel müssen extrem bedacht angewandt werden, damit sie mehr nützen als schaden.
Und nicht zuletzt ist auch eine gut sitzende Ausrüstung natürlich eine unabdingbare Voraussetzung für pferdeschonendes Reiten.
Fazit
Wer sein Pferd clever trainiert, kann es meiner Meinung nach durchaus trotz Reiten lange gesund halten. Mehr noch: Von durchdachtem Reiten kann das Pferd sogar profitieren. Das setzt jedoch einen weit denkenden und fühlenden Reiter voraus, der bereit ist, sein Training den Bedürfnissen des Pferdes anzupassen.
Vielen Dank an Bettina von @equifine_ch fürs Gegenlesen aus Sicht einer werdenden Pferdeosteopathin ♥
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D (Freitag, 09 November 2018 13:00)
Hallo!���
Ich finde es super wie vorsichtig und schonend du mit den Pferden arbeitest! Ich finde dieses Thema sehr interessant und ich habe mich auch schon gefragt ob es für ein Pferd überhaupt gut ist, geritten zu werden. Ich finde das Training vom Boden aus toll und ich glaube es macht auch meinem Pferd mehr Spass.
LG�
Instagram: Lisabblz (: (Freitag, 09 November 2018 16:39)
Ich liebe deine Arbeit mit den Pferden!!! Endlich mal jemand, der beim Reiten vor allem an das Pferd denkt und sich ganz genau mit dem Thema befasst� auch Artikel ist super interessant!!