Die Kandare ist als Ausrüstungsgegenstand in der Ausbildung von weiter fortgeschrittenen Reitern & Pferden sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart kaum wegzudenken. Ob man sie gut oder schlecht findet, bleibt jedem selbst überlassen. Fakt ist aber: Sie ist definitiv ein Hilfsmittel, dessen man sich würdig erweisen muss. Eine Kandare sinnvoll einzusetzen braucht definitiv ein fortgeschrittenes Ausbildungsniveau von Pferd und Reiter, sowie ein gewisses Geschick und Verständnis für die Wirkungsweise. An letzterem mangelt es leider häufig. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso man heute in der Regel nur noch eine (!) Zügelführungsform - und dann noch die in meinen Augen ungeeignetste - zu sehen bekommt. Um dieser Entwicklung etwas gegenzuwirken, möchte ich vier verschiedene Möglichkeiten der Zügelführung hier gerne einmal näher erklären.
Die "Standardhaltung": Gekreuzte Zügel
Diese Art der Zügelführung ist die bereits erwähnte Zügelführungsform, die man heute fast ausschliesslich zu sehen bekommt. Hierbei wird der Trensenzügel wie beim Reiten auf Trense unter dem Ringfinger aufgenommen, der Kandarenzügel verläuft überkreuzt und wird unter dem Mittelfinger gehalten.
Diese Zügelführungsform lässt wenig Spielraum, um durch Kippen der Hand nach oben oder unten die Einwirkung der beiden Gebisse zu differenzieren. Auch ist es hier erschwert, die Zügellängen schnell & flexibel passend einzustellen. Somit wird bei dieser Zügelführungsform die Zügellänge meist am Anfang passend eingestellt und anschliessend (beipsielsweise während eines Dressurprogramms) so belassen. Das Verhältnis der Einwirkung von Unterlegtrense und Kandare bleibt hier also oft ungefähr gleich. Das ist natürlich bequem, einfach in der Handhabung und verlangt wenig Geschick - aber genau das soll eine Kandare meiner Meinung nach nicht sein. Wer nicht das Feingefühl und den Intellekt hat, eine Kandare differenziert zu benutzen, der sollte es einfach gar nicht tun.
Natürlich ist diese Zügelführung aber nicht "nur" schlecht, obwohl sie meiner Meinung nach doch die meisten Nachteile hat. Positiv hierbei finde ich, dass sie es tendenziell leichter macht, mit der Unterlegtrense einzuwirken, als mit der Kandare. Dreht man die Hand nämlich nach unten ein, so verstärkt man die Wirkung der Unterlegtrense während die Kandare schwächer einwirkt. Um diesen Effekt zu verstärken, kann man den Kandarenzügel noch eins höher fassen, ihn also unter dem Zeigefinger hindurch aufnehmen. Dies ermöglicht bereits eine etwas differenziertere Einwirkung beim Kippen der Hand.
Der "Exot": Parallele Zügel
Bei dieser Zügelführungsform verläuft der Zügel der Unterlegtrense ebenfalls wie beim Reiten auf Trense unter dem Ringfinger, der Kandarenzügel wird allerdings unter dem kleinen Finger aufgenommen.
Hier gilt das zuvor gesagte, ausser dass hier beim Kippen der Hand nach unten nun das Kandarengebiss vorherrschend wirkt. Diese Zügelführungsform habe ich persönlich in Gebrauch noch nie gesehen, was ich aber auch nicht weiter schade finde. Sie hat meiner Meinung nach kaum Vorteile.
Die "Differenzierte": Zügelführung nach Fillis
Hier nun die erste der beiden Zügelführungsformen, die für mich wirklich Sinn machen. Die Zügelführung nach Fillis ist quasi eine Variante der parallelen Zügelführung, jedoch werden hier die Trensenzügel ganz oben, also über dem Zeigefinger, und die Kandarenzügel ganz unten unter dem kleinen Finger aufgenommen. Dies bietet dem Reiter maximale Freiheit um differenziert und mit allen vier Zügeln unabhängig voneinander einzuwirken. Dadurch verlangt es gleichzeitig aber auch viel Geschick und eine sehr ruhige Hand um das Pferd gefühlvoll zu unterstützen. Da dies ein Kandarenreiter aber ohnehin mitbringen sollte, sehe ich das nicht als Nachteil an.
Den einzigen wirklichen Nachteil sehe ich hier darin, dass es schnell zu einem Verkanten der Kandare kommen kann. Dies verhindert die nachfolgende 3:1 Zügelführung als Einzige.
Abgesehen von den gekreuzten Zügeln ist die Zügelführung nach Fillis diejenige, die ich am ehesten noch in Gebrauch gesehen habe, da sie glücklicherweise durch die École de Légèreté von Philippe Karl wieder eine gewisse Bekanntheit erlangt hat.
Die "Sinnvolle": 3:1 Zügelführung
Last but not least kommt hier mit der 3:1 Zügelführung noch die in meinen Augen sinnvollste Zügelführungsform. Hierbei hält eine Hand drei Zügel (einen Trensen- und beide Kandarenzügel), die andere Hand nur einen. Sie baut auf der gekreuzten Zügelführungsform auf, wobei der Kandarenzügel der anderen Hand zusätzlich noch unter dem Zeigefinger aufgenommen wird. Manchmal sieht man auch andere Umsetzungen, beispielsweise alle drei Zügel um einen Finger weiter nach unten versetzt. Dadurch, dass beide Kandarenzügel in einer Hand sind, kann an diesen nur gleichzeitig eingewirkt werden - genau wie es bei der Kandare auch sein soll, denn sonst verkantet sie sich. Dadurch, dass die andere Hand nur einen Trensenzügel führt, erlangt diese wiederum mehr Flexibilität um beispielsweise auch eine Gerte noch gut einsetzen zu können. Zudem hat man hier den Vorteil, dass der Hals des Pferdes von den beiden Kandarenzügeln automatisch eingerahmt und somit die Platzierung von dessen Schultern erleichtert wird.
Der Nachteil der 3:1 Zügelführungsform liegt meiner Meinung nach wieder in der räumlichen Nähe der Trensen- und Kandarenzügel. Es wird zwar sichergestellt, dass die Kandare nur gleichseitig einwirkt, jedoch wird hier die Differenzierung zwischen Unterlegtrense und Kandare auf der Seite mit 3 Zügeln wieder stark erschwert. Mir wäre am liebsten eine Variante der 3:1 Zügelführung, bei der die Zügel von Unterlegtrense und Kandare möglichst weit auseinander gehalten werden, damit hier wieder unabhängig eingewirkt werden kann.
Diese Zügelführung braucht wohl am meisten Geschick, anfangs entsteht leicht ein Zügelsalat. Jedoch bekommt man das mit etwas Übung auf jeden Fall hin!
Fazit
Man sieht hier also, hinter dem sinnvollen Einsatz der Kandare steckt noch einiges mehr, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Ich für meinen Teil würde mich freuen, wenn gerade die etwas in Vergessenheit geratenen Zügelführungsformen wieder vermehrt gelehrt und im Training & auf Turnier genutzt werden würden. Meinen Teil werde ich dazu beitragen, indem ich beispielsweise bewusst die Fillis- oder sogar 3:1 Zügelführung auf dem Turnier anwende, jetzt da ich auch auf Turnier auf Kandare reiten darf. Ich bin schon echt gespannt zu sehen, was die Richter dazu zu sagen haben!
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Kerstin (Donnerstag, 17 September 2020 18:37)
Interessanter Beitrag, danke.
Da muss ich dir zustimmen, es ist wirklich schade, dass andere Zügelführungen nur kaum mehr gesehen werden.
Je nachdem, woran ich arbeite (und vor allem mit welchem Pferd!) nutze ich auch die "klassische" Führung, oder gerne die 3:1.
Nach Fillis fühlt sich für mich einfach mega seltsam an, da bekomm ich immer so einen "Kutsch-Vibe" �
Bin sehr gespannt, was die Richter bei dir sagen werden!
LG ✌�
P.S.: es gibt sogar noch eine Zügelführung, die du nicht erwähnt hast.
Dabei werden alle Zügel in eine (meist die linke) Hand gelegt. Also quasi 4:0.
Das kenn ich persönlich aber nur aus der Kavallerie.